(Bild: Agnes Baldauf)
Abhängigkeiten zeigen sich in vielen Bereichen.
Als Baby bin ich von den Eltern abhängig, die mich versorgen und danach schauen, dass ich wachsen und lernen kann. Auch Erwachsene sind abhängig. Da gibt es die offensichtlichen Verflechtungen mit dem Beruf und Einkommen oder einem Partner. Dann gibt es die unbewussten Verstrickungen zu Eltern, in Glaubenssätzen und unseren Emotionen.
Wir sind unser gesamtes Leben lang abhängig, denn wir sind soziale Wesen und brauchen den Austausch und die Interaktion mit anderen.
In diesem Beitrag betrachte ich die Verwicklungen eines Erwachsenen anhand eines Beispiels aus meiner Coachingpraxis ein wenig genauer. Es ist klar, dass jeder von uns sein Einkommen benötigt, um seine Ausgaben zu decken. Diese Ausgaben sind unter anderem essen, trinken, ein Dach über dem Kopf, Kleidung, Bildung, Urlaub und so weiter.
Das ist alles OK. Das darf sein. Abhängigkeit ist nicht von Vorne herein schlecht oder falsch. Abhängigkeit wird meiner Ansicht nach kritisch, wenn ich nur noch arbeite, weil ich zum Beispiel mit irgend jemandem mithalten will. Weil ich glaube, eine bestimmte berufliche Hierarchiestufe erklimmen zu müssen, damit ich angesehen bin. Oder weil ich glaube, dass ich viel und zu jeder Zeit immense Leistungen erbringen muss, damit ich nicht ausgegrenzt werde oder im Beruf nicht weiter kommen, vielleicht sogar meinen Job verliere.
Diese Art der Abhängigkeit kann dazu führen, dass ich mich wie in einem Hamsterrad fühle oder eventuell im sogenannten Burn-Out lande.
Ich habe dazu in meiner Coaching Praxis immer wieder Beispiele. Eines davon passt sehr gut hier zu diesem Thema Abhängigkeiten. Vor einigen Jahren kam jemand zu mir, der sich in einer Zwickmühle wiederfand. Nach dem Studium fand er einen guten Job mit guter Bezahlung in einem großen, weltweit agierenden Unternehmen. Er hatte Spaß an der Arbeit, die Karriere kam voran und er stieg mit der Zeit in eine Position auf, in der er „so richtig gut“ verdiente und Verantwortung hatte. Allerdings entstand eines Tages eine Situation, wo er als Führungskraft Entscheidungen treffen sollte, die ihn ins Grübeln brachten. Er sollte dafür sorgen, dass Produkte des Unternehmens auf den Markt gelangten, die nicht richtig funktionierten. Es bestand keine lebensbedrohliche Situation für Menschen, doch die Angaben waren eben geschönt.
Die Zwickmühle bestand in diesem Falle aus dem Gewissen meines Kunden, das ihm riet, das nicht zu tun und dem Gehorsam, der Loyalität seinem Arbeitgeber gegenüber. Hinzu kamen für ihn Überlegungen wie: „Was passiert, wenn ich das nicht tue? Verliere ich meine Arbeit? Wie kann ich dann meine Familie ernähren, Kredite für das Haus abbezahlen?“. Er hatte auch Fragen wie: „Was sagt meine Familie dazu? Wie reagieren die Nachbarn, wenn ich meinen Job verliere? Was bedeutet das für die Kinder?“
In diesem Beispiel zeigten sich viele Abhängigkeiten. Die Gedanken waren so verworren, dass ein Entkommen aus diesem Kreisel alleine nicht mehr möglich war. Der Kunde, der sonst ein brillianter Denker und klarer Kopf war konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen. Das war für ihn eine völlig neue Situation, die ihn verunsicherte und noch mehr aus der Bahn warf.
Nun gibt es aus dieser und ähnlichen Situationen mehrere Optionen und keine ist einfach so mal eben umzusetzen. Im Coaching begeben wir uns in einen Prozess, nehmen diese Gedanken und Optionen auf und spielen sie in aller Ruhe und Ausführlichkeit durch. Frei nach dem Motto: was wäre wenn. In dieser Arbeit zwischen Coach und Coachee sind die Werte der jeweiligen Person enorm wichtig. Nach meiner Erfahrung hat jeder Mensch 5 Grundwerte, die ihn maßgeblich steuern und die für ihn nahezu unumstösslich sind. Diese sind individuell unterschiedlich, doch in diesem Falle war Ehrlichkeit einer der wichtigen Werte.
In der gemeinsamen Arbeit kristallisierte sich heraus, dass Ehrlichkeit für den Kunden – vor allem gegenüber sich selbst – so relevant war, dass der Kunde für sich heraus fand, dass er nicht weiter in dieser Position bei diesem Unternehmen bleiben konnte und wollte. Daraus ergaben sich sofort neue Optionen, die er dadurch aktiv angehen konnte. Nachdem er für sich seine Klarheit wieder gefunden hatte, fiel im sprichwörtlich die Last von den Schultern. Er fühlte sich leichter, ja geradzu erleichtert und mutig sowie zuversichtlich, dass er nun seinen Weg mit gutem Gewissen gehen kann.